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Rede von US-Generalkonsulin Jo Ellen Powell
am 2. Oktober in der Paulskirche in Frankfurt am Main

"Die Vereinigten Staaten, das geeinte Deutschland
und die Einheit des Westens"

Sehr geehrter Herr Stadtrat Rhein,
sehr geehrte Stadtverordneten der Stadt Frankfurt am Main,
sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Freunde,

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Ehre, hier in der Paulskirche, der Wiege der deutschen Demokratie, am Tag der Deutschen Einheit zu Ihnen sprechen zu dürfen. Dieser Feiertag findet sich nicht auf dem amtlichen Kalender der Vereinigten Staaten von Amerika.  Aber wir Amerikaner tragen ihn in unseren Herzen. Denn auch für uns haben sich am 3. Oktober 1990 große Hoffnungen erfüllt - Hoffnungen, die aufrecht zu halten nicht immer leicht war. Viele Menschen, in Ost und West, rechneten nicht mehr damit, den Eisernen Vorhang zu Ihren Lebzeiten fallen zu sehen.

Vor zwanzig Jahren sagte Präsident Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor einen Satz, der von vielen Deutschen und Amerikanern als polemisch, naiv und bestenfalls als idealistisch eingeschätzt wurde und den sein Redenschreiber und seine engsten Berater mit allen Mitteln zu verhindern versuchten: "Mr. Gorbachev, tear down this wall!"


Zwei Jahre später bei seinem Besuch in Mainz griff der frühere Präsident Bush diese kühne Forderung auf:
“Nowhere is the division between East and West seen more clearly than in Berlin. And there this brutal wall cuts neighbor from neighbor, brother from brother. And that wall stands as a monument to the failure of communism. It must come down.”
Vielen erschien diese Forderung auch zu diesem Zeitpunkt noch völlig unrealistisch. Dass diese aber nur wenige Monate später Wirklichkeit werden würde, davon wurden alle Experten in Politik, Wissenschaft und Medien völlig überrascht.

Diese unerwartete glückliche Wende der Geschichte zeigt uns, dass der Visionär der Realität bisweilen näher sein kann als der Realist - dass politischer Pragmatismus und Realismus uns nicht dazu verleiten dürfen, das in Resignation als scheinbar unabänderlich hinzunehmen, was unseren eigenen moralischen und politischen Grundprinzipien fundamental entgegensteht.

Dass wir als Amerikaner die Spaltung Europas als besonders schmerzlich und nicht hinnehmbar empfanden, liegt in unserer eigenen historischen Erfahrung begründet. Die Spaltung unseres Landes in Norden und Süden führte zu einer Dauerkrise und schließlich zu einem Bürgerkrieg, den blutigsten Krieg unserer Geschichte. Eine friedliche Wiedervereinigung, wie sie Deutschland und Europa erlebte, war uns nicht vergönnt. Dass die Wiederherstellung der Einheit unserer Nation überhaupt gelang, daran hatte Deutschland und, was vielen vielleicht nicht bekannt ist, die Stadt Frankfurt einen nicht unerheblichen Anteil.

Nicht nur kämpften deutsche Einwanderer in großer Zahl auf seiten der Union. Auch der Herausgeber der Frankfurter Zeitung, Frankfurter Bankiers und die Frankfurter Börse spielten eine wichtige Rolle in der Finanzierung der Unionsarmee.

Diese aktive deutsche Hilfe bei der Wiederherstellung unserer Union lässt die vorbehaltlose Unterstützung der amerikanischen Regierung für die deutsche Wiedervereinigung in einem besonderen historischen Licht erscheinen. Die Wiedervereinigung stellte einen unerwarteten Glücksfall und zugleich eine ungeheuere politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Herausforderung für Ihr Land dar. Wie ließen sich die vielfältigen Folgen von über 40 Jahren Teilung überwinden? Wie würde das nun bevölkerungsreichste Land der Europäischen Gemeinschaft und Union mit seinem gewachsenen Gewicht seine Interessen verfolgen können, ohne seine Nachbarn zu verstören? Wie würde es mit seiner gewichtigeren Rolle auf der internationalen Bühne umgehen, nachdem der ehemalige Präsident Bush von Deutschland als einem “partner in leadership” gesprochen hatte?

Die Dimension und Komplexität dieser Herausforderung zu verstehen, erleichtert uns Amerikanern wiederum die eigene historische Erfahrung. Die Integration von Nord- und Südstaaten nach dem Bürgerkrieg und die Überwindung der Rassentrennung war ein unendlich langwieriger und schmerzvoller Prozeß. Das historische Schwanken unserer Außenpolitik zwischen Isolationismus und Internationalismus ist Ausdruck eines Problems, das auch Deutschland meistern muss: Ideale und Interessen, große innenpolitische Herausforderungen und internationale Verantwortung miteinander in Einklang zu bringen.

Mit umso mehr Respekt betrachten wir, was Ihr Land seit der Wiedervereinigung geleistet hat. Nach vielen Jahren geduldiger Aufbau- und Reformanstrengungen kann Deutschland nun die Früchte ernten - in Form von größerem Wirtschaftswachstum und steigender Beschäftigung. Welche große Rolle dabei die immer engere Verflechtung der deutschen und amerikanischen Wirtschaft im Bereich Handel und Direktinvestitionen spielt, braucht in der Wirtschafts- und Finanzmetropole Frankfurt kaum erwähnt werden.

Aber auch auf politischem Gebiet hat sich Deutschland bewährt. Der deutschen Wiedervereinigung folgte die Wiedervereinigung Europas. Viele einstmals kommunistische und von der ehemaligen Sowjetunion beherrschte Länder wurden Mitglieder der Europäischen Union und der NATO. Dadurch verlagerte sich der geographische Schwerpunkt nach Osten. Deutschland fand sich nach Jahrzehnten der strategischen Randlage im Zentrum eines erweiterten Europas wieder. Als zentrale, bevölkerungsreichste und größte Wirtschaftsmacht fiel Ihrem Land auch größere politische Verantwortung zu.

Noch Anfang der 90er Jahre wäre das deutsche militärische Engagement mit seinen NATO-Partnern auf dem Balkan, in Afghanistan, Libanon und dem Horn von Afrika kaum denkbar gewesen. Dieses entspricht einem sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel, der Ihrem Land angesichts seiner Geschichte verständlicherweise nicht leicht fallen konnte. Dass Sie sich dafür entschieden haben, die Bundeswehr für Frieden und Wiederaufbau einzusetzen, wird Ihnen von den Menschen in den Krisengebieten, in denen Sie engagiert sind, und von Ihren internationalen Freunden und Verbündeten gedankt.

Jetzt ist Deutschland ein entscheidender Koalitionspartner in unserem gemeinsamen Versuch, eine stabile und sichere Zukunft aufzubauen und menschenwürdiges Leben zu sichern. Mit seiner ausgesprochen konstruktiven und geschickten Rolle in internationalen Diskussionen und Verhandlungen hat Deutschland das große amerikanische Vertrauen und das Vertrauen seiner Nachbarn gerechtfertigt.

Das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch der zweiten Supermacht Sowjetunion bedeutete auch für die Vereinigten Staaten eine neue Situation, sowohl in strategischer als auch in psychologischer Hinsicht. Schließlich waren die Beziehungen zu dem meisten Staaten jahrzehntelang ganz im Schatten der Ost-Westkonfrontation gestanden. In der idealistischen Tradition Woodrow Wilsons gab der damalige Präsident Bush 1990 in einer Rede vor den Vereinten Nationen großen Hoffnungen auf eine neue Weltordnung Ausdruck. Darin griff er auch den zentralen Begriff der Partnerschaft aus seiner Mainzer Rede wieder auf:

“We have a vision of a new partnership of nations that transcends the Cold War: a partnership based on consultation, cooperation, and collective action, especially through international and regional organizations; a partnership united by principle and the rule of law and supported by an equitable sharing of both cost and commitment; a partnership whose goals are to increase democracy, increase prosperity, increase the peace, and reduce arms.”

 

Die Namen von Ländern wie Jugoslawien, Tschetschenien, Somalia, Afghanistan, Sudan und Nord-Korea zeugen davon, dass manche Hoffnungen, die wir auf das Ende des Kalten Krieges gesetzt hatten, enttäuscht wurden. In einer besonderen Hinsicht wurde die amerikanische Rolle in der Welt sogar noch schwieriger. Der frühere Außenminister Henry Kissinger hat darauf hingewiesen, dass jede Großmacht der Geschichte, sei es das Römische Reich oder das Britische Empire, bei seinen Nachbarn reflexartig Mißtrauen, Resentiments oder gar Paranoia ausgelöst hat. Gegenüber der vorläufig einzigen verbliebenen Supermacht konnten solche Reflexe nur noch stärker werden. Terroranschläge auf amerikanische Einrichtungen wie die auf das World Trade Center 1993 und unsere Botschaften in Kenia und Tansania schienen Kissingers Beobachtung schon bald zu bestätigen. Die Anschläge vom 11. September 2001 rissen uns endgültig aus allen Träumen von einer friedlicheren neuen Weltordnung. Ein “Ende der Geschichte”, also die quasi automatische weltweite Durchsetzung von Demokratie und Marktwirtschaft, wie sie Francis Fukuyama in seinem berühmten Aufsatz von 1992 prophezeit hatte, war in weite Ferne gerückt.

Das Ende des Kalten Krieges brachte auch Konsequenzen im transatlantischen Verhältnis. Europa konnte und musste seine Identität, seine Grenzen und seine zukünftige politische Struktur und Verfassung überdenken. Wie die USA musste es sich zudem einer völlig veränderten globalen Machtkonstellation stellen und seine eigene Rolle und Verantwortung darin bestimmen. Die Grenzen der EU zu erweitern und gleichzeitig die politische Integration auf einer neuen verfassungsmäßigen Grundlage zu vertiefen, stellte eine schwere Aufgabe dar.
Dass diese Geduld erfordern, Probleme bereiten und zu einem ambivalenten Verhältnis gegenüber Brüssel führen würde, kann uns Amerikaner wiederum im Blick auf unsere eigene Geschichte nicht überraschen. Die Kolonien im Kampf gegen das britische Mutterland zu einen und nach der Unabhängigkeit unter das Dach einer gemeinsamen Verfassung zu bringen, war ein langwieriger Prozeß. In fünf der dreizehn Staaten, unter ihnen so gewichtige wie Massachusetts, New York und Virginia, erfolgte die Ratifizierung nur mit knappen Mehrheiten. Die Diskussionen und Kämpfe um das Machtverhältnis zwischen Bundesregierung und den Einzelstaaten, aber auch zwischen Exekutive und Legislative ziehen sich bis heute wie ein roter Faden durch die amerikanische Innenpolitik. Und Washington wird von außen oft ebenso misstrauisch beäugt wie Brüssel innerhalb der EU. Die Schwierigkeiten bei der europäischen Integration erscheinen uns daher alles andere als befremdlich.
Die innereuropäischen Probleme wurden durch dramatische außenpolitischen Herausforderungen noch verstärkt. Der Krieg auf dem Balkan ist nur ein Beispiel unter vielen. Unsicherheiten und Selbstzweifel waren die Folge. Diese waren es vor allem, die manche europäischen Politiker und Intellektuelle dazu brachten, den Irak-Krieg nicht nur zum Anlass für eine legitime Gegenposition zu nehmen, sondern die USA grundsätzlich als einen neuen Gegenpol zu betrachten, gegenüber dem sich Europa neu definieren könne. Jürgen Habermas und Jacques Derrida schrieben im Mai 2003 in einem in der FAZ veröffentlichten Essay:
“Europa muß sein Gewicht auf internationaler Ebene und im Rahmen der UN in die Waagschale werfen, um den hegemonialen Unilateralismus der Vereinigten Staaten auszubalancieren.”
Egon Bahr sprach im selben Jahr davon, dass es zweierlei Westen gebe, einen europäischen Westen und einen amerikanischen Westen.

Auf amerikanischer Seite hatte Robert Kagan schon ein Jahr zuvor mit einer ähnlichen Einschätzung für Aufsehen gesorgt:

“Americans are from Mars and Europeans are from Venus: They agree on little and understand one another less and less. And this state of affairs is not transitory — the product of one American election or one catastrophic event. The reasons for the transatlantic divide are deep, long in development, and likely to endure.”

Diese amerikanischen und europäischen Wahrnehmungen eines fundamentalen transtlantischen Gegensatzes aus Anlass des Irakkrieges waren und sind Symptome innerer Unsicherheiten diesseits und jenseits des Atlantiks. Sich gegen ein anderes zu definieren, ist auch uns Amerikanern nicht fremd. Kagan steht in einer langen Tradition, die bis in die Gründungsphase der amerikanischen Kolonien zurückreicht. Schon die Puritaner befielen tiefe Zweifel und Verzweiflung darüber, dass sie ihrer Mission als religiöses und gesellschaftliches Vorbild für England und der ganzen Welt nicht gerecht wurden. Immer wieder haben wir die Alte Welt mit ihren feudalen Strukturen und zynischer Machtpolitik und später kommunistische Regime als Gegenwelt beschworen, um uns in Zeiten der Unsicherheit unserer Identität zu vergewissern.

Dafür, dass es auch heute in den USA Gefühle der Unsicherheit gibt, ist der Titel des letzten Buches von Samuel Huntington Ausdruck: “Who Are We? The Challenges to American Identity”. Der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy stellte nach seiner fast einjährigen Reise quer durch die USA kürzlich fest:
“Man wird lange suchen müssen, bis man ein Land findet, in dem man sich so ängstlich über seine Krise und sein Schicksal befragt, und nur wenige Nationen stellen sich auf solch schwindelerregende Weise die Frage nach der eigenen Identität.”
Könnte es sein, das Deutschland zu diesen wenigen Nationen gehört und sich Deutsche und Amerikaner nicht nur in vielen Gewißheiten, sondern einander auch in einer Kultur des Selbstzweifels eng verbunden sind?

Wenn es aber bewusste oder unbewusste Unsicherheit ist, die manche Vordenker auf beiden Seiten des Atlantiks in den letzten Jahren die Unterschiede zwischen Europa und den USA haben so überbetonen lassen, dann müssen wir uns fragen: ist das Bild, das wir uns vom anderen machen, ein Trugbild, das mehr über uns selbst als über den anderen aussagt? Eine ehrliche Antwort auf diese Frage könnte verhindern, dass die Bilder, die wir uns voneinender machen, zu Karikaturen missraten und wir uns in eine Art transatlantischen Karikaturenstreit verstricken.

Unnötige Irritationen können wir auch dadurch vermeiden, dass wir die innen- und außenpolitischen Entscheidungen und wirtschaftlichen und sozialen Eigenheiten des anderen in ihrer historisch-kulturellen Bedingtheit betrachten. Lassen Sie mich dafür als Beispiel die unterschiedlichen Positionen Deutschlands und der USA hinsichtlich des Einsatzes militärischer Gewalt anführen. Die Unterschiede ergeben sich aus unterschiedlichen Rollen, Erfahrungen und Lehren aus den gleichen historischen Ereignissen, nämlich des 2. Weltkrieges und seiner Vorgeschichte. Gegen die rein defensive Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik, die Entspannungspolitik und die Friedensbewegung ließen sich in der praktischen Politik zwar Argumente ins Feld führen.
Doch jeder kann diese bundesrepublikanische Grundhaltung verstehen, der sie als politisch-moralische Konsequenz aus der jüngsten deutschen Geschichte sieht.

Umgekehrt wurde den USA immer wieder vorgeworfen, sich die Option des Einsatzes militärischer Gewalt offenzuhalten. Auch gegen amerikanische Militäreinsätze lassen sich im Einzelfall Argumente ins Feld führen. Aber wir dürfen nicht vergessen:: im kollektiven amerikanischen Gedächtnis hat die diplomatische Appeasement-Politik dem Dritten Reich in die Hände gespielt, und nur militärische Gewalt konnte ihm ein Ende bereiten. Unterschiedliche Rollen und Erfahrungen in derselben historischen Epoche haben in unseren beiden Ländern zu unterschiedlichen Schlüssen und Lektionen geführt. In sich verständlich aber ohne damit in ihrer praktischen Anwendung im Einzelfall eine richtige Politik garantieren zu können.

Alexis de Tocqueville, der vielleicht beste Kenner des Wesens der amerikanischen Politik und Gesellschaft, hat wie folgt hingewiesen, wie sich deren Gegenwart aus der Geschichte erschließt.
“Wenn man nach einem aufmerksamen Studium der Geschichte Amerikas sorgfältig seine politischen und sozialen Zustände prüft, so sieht man sich durch folgende Wahrheit gründlich überzeugt: es gibt keine Meinung, keine Gewohnheit, kein Gesetz, ich möchte sagen kein Ereignis, das sich nicht aus der Ausgangslage erklären ließe.”

Der Wille und die Fähigkeit, andere Länder in ihrem historisch-kulturellen Kontext zu betrachten, ist nicht allein eine Frage der akademischen Tugend, sondern des Erfolges oder Mißerfolges praktischer Politik.
Einen der größten Erfolge in der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik stellt der Marshall-Plan dar, der zu einem unvergleichlichen wirtschaftlichen Aufschwung und politischer Stabilität in Westeuropa und einer neuen Grundlage innereuropäischer und transatlantischer Kooperation führte. Die beispiellose Wirkung des Marshall-Plans verdankt sich nicht zuletzt dem überragenden Wissen seines Architekten George F. Kennan, dem 1982 hier in der Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde. Kennan war Historiker, mehrsprachig und ein profunder Kenner Europas, insbesondere der Geschichte und Kultur Deutschlands und Russlands.

Wir können uns nur wünschen, dass Experten solchen Kalibers uns dabei helfen, uns gegenseitig differenzierter und im historisch-kulturellen Kontext wahrzunehmen. Wenn uns dies gelänge, könnten wir auch dadurch die trennenden Kräfte im transatlantischen Verhältnis schwächen. Timothy Garton Ash, einer der Historiker, die von Margaret Thatcher zu ihren starken Vorbehalten gegenüber der deutschen Wiedervereinigung befragt worden waren, warnte unlängst:
“… the whole of the new, enlarged Europe is engaged in a great argument between the forces of Euro-Gaullism and Euro-atlanticism. This is the argument of the decade. On its outcome will depend the future of the West.”

Diejenigen, die die Unterschiede zwischen Europa und den USA betonen, sollten sich die Unterschiede bewußt machen, die innerhalb Europas und innerhalb der USA so offensichtlich existieren.


Und: gibt es nach dem Ende des Kalten Krieges wirklich keine starke äußere Klammer mehr, die uns zusammenhält?  Ernüchtert müssen wir feststellen, dass an die Stelle einer alles andere überragenden Herausforderung innerhalb einer bipolaren Weltordnung andere, viel komplexere und vielleicht schwierigere getreten sind. Anstelle der Gefahr eines Atomkriegs zwischen Ost und West sehen wir uns der nuklearen Bedrohung durch Regime gegenüber, die viel weniger stabil und berechenbar sind. Der Terrorismus und die Gefahr seines Gebrauchs von Massenvernichtungswaffen stellt eine viel komplexere Gefahrensituation dar. Migrationströme, AIDS, globale Erwärmung, Konflikte und Krisen, erlauben Europa und den USA keine Selbstbezogenheit.

Aber auch im Inneren müssen sich die westlichen Demokratien neuen Problemen stellen. Die beschleunigte Globalisierung hat die Traditionen und Strukturen unserer Volkswirtschaften aufgebrochen. Ungünstige demographische Entwicklungen gefährden die Zukunft vieler Renten- und Gesundheitssysteme. Die Zuwanderung erfordert große Integrationsleistungen auf seiten der Gastländer und der Zuwanderer selbst. Die Allgegenwart elektronischer Unterhaltung von oft fragwürdiger Qualität und Drogen aller Art machen es schwer, der jüngeren Generation die eigenen Wertvorstellungen, auf denen unsere Demokratien aufgebaut sind, weiterzugeben. Politische und religiöse Extremisten, organisierte Kriminalität und Korruption betätigen sich auf ihre Weise als Feinde unseres freiheitlichen politischen und wirtschaftlichen Systems. Zugleich gehen wir als Bürger in immer geringerer Zahl an die Wahlurnen.

Während uns diese inneren und äußeren Herausforderungen zusammenschweißen, ist zugleich die wirtschaftliche Klammer seit Ende des Kalten Krieges noch enger geworden. Der anhaltenden Verzahnung des transatlantischen Wirtschaftsraumes hat der spektakuläre Aufstieg anderer Nationen wie China und Indien keinen Abbruch getan. Europa und die USA sind und bleiben füreinander von überragender wirtschaftlicher Bedeutung. Dass wir der wirtschaftlichen Entwicklung große Aufmerksamkeit widmen müssen, ist kein Zeichen von westlichem Materialismus sondern eine schmerzliche Lehre, die wir gleichermaßen aus der Geschichte ziehen müssen. Es war der dramatische wirtschaftliche Niedergang der späten zwanziger und dreißiger Jahre, der die westlichen Demokratien in eine schwere Krise stürzte und in Deutschland zum Untergang der Weimarer Republik führte. Und zum Ausgang des Kalten Krieges bemerkte der bekannte Historiker John Lewis Gaddis: “…you could argue that economic disparities were the single most important factor.”

Nicht nur unsere eigene wirtschaftliche Stabilität, sondern auch die der Krisenherde dieser Welt, vor allem in Afrika, liegt in unserem Interesse. Ob Entwicklungshilfe, Globalisierung, AIDS, Terrorismus, Klimaveränderung, Migration, Überalterung und Krisen der sozialen Sicherheitssysteme – unsere alten Konzepte und Rezepte taugen angesichts dieser neuen Herausforderungen nichts mehr. Wir sind gezwungen, ganz neue Wege zu gehen. Um Erfolg zu haben, müssen wir den Mut zu innovativen Methoden und Strategien aufbringen. Darin müssen wir uns gegenseitig unterstützen und raten, Ideen und Erfahrungen austauschen und an einem Strang ziehen, gerade auch als Deutsche und Amerikaner.
Nur dann können wir eine noch heute gültige Vision im Auge behalten, die John F. Kennedy bei seinem Besuch im Juni 1963 hier in der Paulskirche so formulierte:

“… We must seek a world of peace -- a world in which peoples dwell together in mutual respect and work together in mutual regard -- a world where peace is not a mere interlude between wars, but an incentive to the creative energies of humanity. We will not find such a peace today, or even tomorrow. The obstacles to hope are large and menacing. Yet the goal of a peaceful world -- today and tomorrow -- must shape our decisions and inspire our purposes.”

Über unsere Zukunftsvisionen aber sollten wir nie die Geschichte vergessen, die die westliche Welt verbindet. Über die Jahrhunderte wurden Menschen, Ideen und Güter in solchem Umfang in beiden Richtungen über den Atlantik transportiert, dass wir Teil einer gemeinsamen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Geschichte sind. Daher waren geistige Strömungen wie die Aufklärung und die Romantik nicht auf einen der beiden Kontinente beschränkt. Der Zauber der “Roaring Twenties” und der “Goldenen Zwanziger Jahre” legte sich über New York und Berlin ebenso wie kurz darauf die große Wirtschaftskrise. Die Revolte der Achtundsechziger fand nicht nur in Berkley, sondern auch in Paris, Berlin und Frankfurt statt. Den Staaten Westeuropas standen die USA in allen großen Konflikten nahe, ob als Gegner oder als Verbündeter. Und aus allen ehemaligen Feinden – wie England, Spanien oder Deutschland - wurden Freunde.

Die Gemeinsamkeit der Geschichte und die Dimensionen der Probleme, die wir gemeinsam zu bewältigen haben, sind um so vieles größer als die Unterschiede zwischen uns. Lassen Sie uns diese angesichts der großen inneren Heterogenität Europas und der USA als etwas betrachten, was uns nicht trennt, sondern stark macht – etwas, das schöpferische Vielfalt auf einer tragfähigen Grundlage gemeinsamer Geschichte, Werte, und Visionen darstellt. Dann könnten wir uns vielleicht vorstellen, dass auch für die Länder der westlichen Welt das Motto gelten kann, das das Wesen und die Stärke der Vereinigten Staaten von Amerika so treffend zum Ausdruck bringt:  --  E Pluribus Unum.

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