Aktuell AktuellNatur und Wissenschaft Natur und WissenschaftPhysik & Chemie Physik & Chemie

Fingerabdrücke liefern im Licht des Synchrotons Hinweise zur Körperchemie
Physik
Der Teilchenbeschleuniger als Hilfsdetektiv
Von Nike Köpf

06. September 2004 Drei Schüsse aus nächster Nähe streckten Takaji Kunimatsu nieder. Das war im März 1995. Der Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn lag erst wenige Tage zurück, und Kunimatsu ermittelte als Chef der Nationalen Polizei gegen die Aum-Sekte. Nach dem Attentäter fahndete die Kripo vergeblich. "Spurlos verschwunden", schrieben die Zeitungen damals. Jetzt gibt es doch noch Spuren. Sie sind allerdings so winzig klein, daß die Polizeiwissenschaftler sie vor neun Jahren nicht finden konnten. Im April dieses Jahres untersuchten sie erneut den Mantel eines polizeibekannten Aum-Jüngers. Und diesmal entdeckten sie Pulverstaub, einige milliardstel Gramm, der mit dem Schießpulver an Projektilen vom Tatort exakt übereinstimmte. Anfang Juli wurde der Verdächtige verhaftet.

Als "Licht des neuen Jahrtausends" preist man im technikbegeisterten Japan das, was solche feinen Analysen überhaupt erst möglich macht: Strahlung von einer Brillanz, die die des Sonnenlichts um das Zehnmilliardenfache übertrifft. Sie entsteht in sogenannten Synchrotronen wie etwa dem japanischen "SPring-8". In dieser gut fußballfeldgroßen Anlage hundert Kilometer westlich von Osaka wurde auch der Mantel untersucht. Die Synchrotronstrahlung ist ein nützliches Abfallprodukt der Elementarteilchenphysik. Sie entsteht immer dann, wenn sehr schnelle geladene Teilchen, etwa Elektronen, dazu gebracht werden, ihre Flugbahn zu ändern - beispielsweise in jenen ringförmigen Beschleunigern, in denen man Teilchen auf Touren bringt, indem man sie wieder und wieder durch dieselben Hochfrequenzfelder schickt. Wo immer dort Magnete die Teilchen zum Abbiegen zwingen, leuchten sie in engen Strahlenbündeln entlang der Tangenten ihrer Flugbahn, ähnlich wie die Scheinwerfer eines Autos, das im Kreis fährt. Die Wellenlänge dieser elektromagnetischen Strahlung reicht von infrarot bis in den Röntgenbereich.

Nebeneffekt der Teilchenbeschleunigung

Da die Elektronen dabei Energie verlieren, galt Synchrotronstrahlung früher als unerwünschter Nebeneffekt der Teilchenbeschleunigung. Heute dagegen baut man Anlagen wie das SPring-8 eigens, um diese Strahlen zu erzeugen. Denn da sie so viel intensiver sind als das Licht herkömmlicher Quellen, lassen sie sich für Analysen nutzen, die um eine Reihe von Kommastellen genauer sind. Zum Beispiel in der Röntgenfluoreszenz-Spektrometrie: Hier werden die Moleküle der Probe mit Röntgenquanten aus dem Synchrotron bestrahlt.

Die Strahlung stammt dabei aus einer speziellen Zone, dem Undulator, dessen Magnete den Elektronenstrahl auf einen Zickzackkurs schicken. So entsteht Röntgenstrahlung ganz bestimmter Energie. Läßt man diese auf eine Probe fallen, schlägt sie dort Elektronen aus den kernnahen Bahnen der Atome heraus. Daraufhin rückt jedesmal ein Elektron aus den äußeren Schalen nach, wobei es einen Lichtstrahl aussendet, dessen Energie dem Energieunterschied zwischen beiden Umlaufbahnen entspricht. Weil nun dieser Unterschied zwischen den Atomschalen bei jedem Element anders ist, kann man aus dem Fluoreszenzsignal einer Probe auf die darin enthaltenen Elemente schließen.

Jeder Stoff hat ein eigenes Schmutzprofil

Am SPring-8 lassen sich Substanzmengen von einem billiardstel Gramm (kurz: einem Femtogramm) nachweisen. "Dabei können wir feststellen, wo ein bestimmtes Material produziert wurde, und wir können sogar unterscheiden, von welchem Besitzer es stammt", sagt der Physiker Akito Kakizaki von der Universität Tokio. "Jeder Stoff hat sein eigenes, unverwechselbares Schmutzprofil, abhängig von seiner Lebensgeschichte." Im Aum-Fall wog die Probe vom Mantel des Verdächtigten gerade mal ein paar tausend Femtogramm. Zum ersten Mal wurde dieses Synchrotron 1998 für forensische Zwecke eingesetzt. Inzwischen leistet es der japanischen Polizei mehrmals im Jahr Amtshilfe.

Abgesehen von der Meßgenauigkeit hat Synchrotronstrahlung gerade für Gerichtschemiker noch einen zweiten Vorteil: Die Probe bleibt intakt, die Messung kann beliebig oft wiederholt werden. Dennoch steht die Karriere des Teilchenbeschleunigers als Hilfsdetektiv erst am Anfang. 2007 soll in Australien das erste Synchrotron in Betrieb gehen, das vorrangig der Verbrechensbekämpfung dient. Gegenwärtig gibt es weltweit nur zwei weitere Synchrotrone, die es in puncto Meßgenauigkeit mit dem Spring-8 aufnehmen können. Das eine steht im französischen Grenoble, das andere am Argonne National Laboratory bei Chicago.

Fingerabdrücke in ganz neuem Licht

Aber es muß nicht immer Röntgenlicht aus High-End-Anlagen sein. Die amerikanische Bundespolizei FBI bedient sich seit einigen Jahren des weniger energiereichen infraroten Spektralbereiches der Strahlung verschiedener Synchrotrone des Landes. So im Fall einer jungen Frau, die auf dem Weg zur Arbeit entführt, vergewaltigt und ermordet worden war. Man ertappte einen Verdächtigen, wie er unter einer Brücke ein T-Shirt verbrannte. Was übrigblieb, sah aus, als gehöre es zur Arbeitskleidung der Toten. Diese war, wie man wußte, aus Mischgewebe hergestellt worden, doch mit konventionellen Methoden konnte man in den verdächtigen Textilresten bloß Baumwolle, aber kein Polyester nachweisen. Erst im intensiven Infrarotlicht eines Synchrotrons zeigten sich noch Spuren von unverbranntem Kunststoff.

Auch die guten alten Fingerabdrücke erscheinen in einem Synchrotron-Labor in ganz neuem Licht. "Bei Fingerabdrücken denkt man erst nur an die Wirbel und Muster", sagt Michael Martin vom Lawrence Berkeley National Laboratory bei San Francisco. "Aber da ist viel mehr: Die Abdrücke enthalten einen ganzen Cocktail aus Körperchemie, wie bestimmte Hormone oder Reste von Medikamenten. Diese Beimischungen sind für die Gerichtsmedizin besonders interessant, weil sie Informationen über den Lebenswandel der Person enthalten - Material für ein Fahndungsprofil."

Genauere Ermittlungen sind nötig

Daher entwickelt Martin am Synchrotron in Berkeley eine Methode, um künftig den Schweiß der Fingerspitzen zu analysieren. So kann er zum Beispiel Nikotin und Alkohol nachweisen oder bestimmte Ketone, die in Zusammenhang mit einer besonders proteinreichen Ernährung stehen. Auch Hinweise auf Stoffwechselkrankheiten, wie Fehlfunktionen der Schilddrüse, sind in den Fingerabdrücken enthalten. Martin kann auch genau sagen, ob ein Fingerabdruck von einem Kind oder von einem Erwachsenen stammt. "Erwachsene haben ölige Substanzen in ihrem Schweiß, das macht die Fingerabdrücke haltbar. Der Schweiß von Kindern dagegen besteht fast nur aus Wasser. An heißen Tagen verdampfen ihre Abdrücke innerhalb von Stunden."

In Deutschland ist das Licht des neuen Jahrtausends noch nicht bis in die Forensik vorgedrungen. "Wir hatten hier noch keine kriminaltechnische Messung", sagt der Physiker Thomas Wroblewski vom Hamburger Synchrotron. "Aber natürlich wäre so etwas mit unserer Ausrüstung jederzeit möglich." Thomas Daldrup, Präsident der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie, sieht in Deutschland freilich die Einführung so mancher neuen Technik an den Kosten scheitern. Daldrup warnt auch vor zu großen Hoffnungen. "Wenn man nicht weiß, nach welchem Stoff man überhaupt sucht, kann man mit einer Messung im Femtobereich auch nichts anfangen", sagt er. "Je feiner die Analysemethode, desto genauer muß vorher ermittelt werden." Davon können Daldrups japanische Kollegen ein trauriges Lied singen. Den Verdächtigen, den man nach der Analyse der Pulverspuren verhaftet hatte, setzte der Untersuchungsrichter nach zwei Wochen wieder auf freien Fuß. Zwar steht dank der Synchrotron-Analyse nun außer Frage, daß der Mantel während des Anschlags am Tatort gewesen war. Aber wer ihn getragen hatte, war mit dieser Methode nicht zu klären.



Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.09.2004, Nr. 36 / Seite 60
Bildmaterial: dpa
Artikel-Service 
Fenster schließen
Artikel drucken
© F.A.Z. Electronic Media GmbH 2001 - 2004
Dies ist ein Ausdruck aus www.faz.net