Als
"Licht des neuen Jahrtausends" preist man im technikbegeisterten Japan
das, was solche feinen Analysen überhaupt erst möglich macht: Strahlung
von einer Brillanz, die die des Sonnenlichts um das Zehnmilliardenfache
übertrifft. Sie entsteht in sogenannten Synchrotronen wie etwa dem
japanischen "SPring-8". In dieser gut fußballfeldgroßen Anlage hundert
Kilometer westlich von Osaka wurde auch der Mantel untersucht. Die
Synchrotronstrahlung ist ein nützliches Abfallprodukt der
Elementarteilchenphysik. Sie entsteht immer dann, wenn sehr schnelle
geladene Teilchen, etwa Elektronen, dazu gebracht werden, ihre Flugbahn
zu ändern - beispielsweise in jenen ringförmigen Beschleunigern, in
denen man Teilchen auf Touren bringt, indem man sie wieder und wieder
durch dieselben Hochfrequenzfelder schickt. Wo immer dort Magnete die
Teilchen zum Abbiegen zwingen, leuchten sie in engen Strahlenbündeln
entlang der Tangenten ihrer Flugbahn, ähnlich wie die Scheinwerfer
eines Autos, das im Kreis fährt. Die Wellenlänge dieser
elektromagnetischen Strahlung reicht von infrarot bis in den
Röntgenbereich.
Nebeneffekt der Teilchenbeschleunigung
Da
die Elektronen dabei Energie verlieren, galt Synchrotronstrahlung
früher als unerwünschter Nebeneffekt der Teilchenbeschleunigung. Heute
dagegen baut man Anlagen wie das SPring-8 eigens, um diese Strahlen zu
erzeugen. Denn da sie so viel intensiver sind als das Licht
herkömmlicher Quellen, lassen sie sich für Analysen nutzen, die um eine
Reihe von Kommastellen genauer sind. Zum Beispiel in der
Röntgenfluoreszenz-Spektrometrie: Hier werden die Moleküle der Probe
mit Röntgenquanten aus dem Synchrotron bestrahlt.
Die
Strahlung stammt dabei aus einer speziellen Zone, dem Undulator, dessen
Magnete den Elektronenstrahl auf einen Zickzackkurs schicken. So
entsteht Röntgenstrahlung ganz bestimmter Energie. Läßt man diese auf
eine Probe fallen, schlägt sie dort Elektronen aus den kernnahen Bahnen
der Atome heraus. Daraufhin rückt jedesmal ein Elektron aus den äußeren
Schalen nach, wobei es einen Lichtstrahl aussendet, dessen Energie dem
Energieunterschied zwischen beiden Umlaufbahnen entspricht. Weil nun
dieser Unterschied zwischen den Atomschalen bei jedem Element anders
ist, kann man aus dem Fluoreszenzsignal einer Probe auf die darin
enthaltenen Elemente schließen.
Jeder Stoff hat ein eigenes Schmutzprofil
Am
SPring-8 lassen sich Substanzmengen von einem billiardstel Gramm (kurz:
einem Femtogramm) nachweisen. "Dabei können wir feststellen, wo ein
bestimmtes Material produziert wurde, und wir können sogar
unterscheiden, von welchem Besitzer es stammt", sagt der Physiker Akito
Kakizaki von der Universität Tokio. "Jeder Stoff hat sein eigenes,
unverwechselbares Schmutzprofil, abhängig von seiner Lebensgeschichte."
Im Aum-Fall wog die Probe vom Mantel des Verdächtigten gerade mal ein
paar tausend Femtogramm. Zum ersten Mal wurde dieses Synchrotron 1998
für forensische Zwecke eingesetzt. Inzwischen leistet es der
japanischen Polizei mehrmals im Jahr Amtshilfe.
Abgesehen
von der Meßgenauigkeit hat Synchrotronstrahlung gerade für
Gerichtschemiker noch einen zweiten Vorteil: Die Probe bleibt intakt,
die Messung kann beliebig oft wiederholt werden. Dennoch steht die
Karriere des Teilchenbeschleunigers als Hilfsdetektiv erst am Anfang.
2007 soll in Australien das erste Synchrotron in Betrieb gehen, das
vorrangig der Verbrechensbekämpfung dient. Gegenwärtig gibt es weltweit
nur zwei weitere Synchrotrone, die es in puncto Meßgenauigkeit mit dem
Spring-8 aufnehmen können. Das eine steht im französischen Grenoble,
das andere am Argonne National Laboratory bei Chicago.
Fingerabdrücke in ganz neuem Licht
Aber
es muß nicht immer Röntgenlicht aus High-End-Anlagen sein. Die
amerikanische Bundespolizei FBI bedient sich seit einigen Jahren des
weniger energiereichen infraroten Spektralbereiches der Strahlung
verschiedener Synchrotrone des Landes. So im Fall einer jungen Frau,
die auf dem Weg zur Arbeit entführt, vergewaltigt und ermordet worden
war. Man ertappte einen Verdächtigen, wie er unter einer Brücke ein
T-Shirt verbrannte. Was übrigblieb, sah aus, als gehöre es zur
Arbeitskleidung der Toten. Diese war, wie man wußte, aus Mischgewebe
hergestellt worden, doch mit konventionellen Methoden konnte man in den
verdächtigen Textilresten bloß Baumwolle, aber kein Polyester
nachweisen. Erst im intensiven Infrarotlicht eines Synchrotrons zeigten
sich noch Spuren von unverbranntem Kunststoff.
Auch
die guten alten Fingerabdrücke erscheinen in einem Synchrotron-Labor in
ganz neuem Licht. "Bei Fingerabdrücken denkt man erst nur an die Wirbel
und Muster", sagt Michael Martin vom Lawrence Berkeley National
Laboratory bei San Francisco. "Aber da ist viel mehr: Die Abdrücke
enthalten einen ganzen Cocktail aus Körperchemie, wie bestimmte Hormone
oder Reste von Medikamenten. Diese Beimischungen sind für die
Gerichtsmedizin besonders interessant, weil sie Informationen über den
Lebenswandel der Person enthalten - Material für ein Fahndungsprofil."
Genauere Ermittlungen sind nötig
Daher
entwickelt Martin am Synchrotron in Berkeley eine Methode, um künftig
den Schweiß der Fingerspitzen zu analysieren. So kann er zum Beispiel
Nikotin und Alkohol nachweisen oder bestimmte Ketone, die in
Zusammenhang mit einer besonders proteinreichen Ernährung stehen. Auch
Hinweise auf Stoffwechselkrankheiten, wie Fehlfunktionen der
Schilddrüse, sind in den Fingerabdrücken enthalten. Martin kann auch
genau sagen, ob ein Fingerabdruck von einem Kind oder von einem
Erwachsenen stammt. "Erwachsene haben ölige Substanzen in ihrem
Schweiß, das macht die Fingerabdrücke haltbar. Der Schweiß von Kindern
dagegen besteht fast nur aus Wasser. An heißen Tagen verdampfen ihre
Abdrücke innerhalb von Stunden."
In
Deutschland ist das Licht des neuen Jahrtausends noch nicht bis in die
Forensik vorgedrungen. "Wir hatten hier noch keine kriminaltechnische
Messung", sagt der Physiker Thomas Wroblewski vom Hamburger
Synchrotron. "Aber natürlich wäre so etwas mit unserer Ausrüstung
jederzeit möglich." Thomas Daldrup, Präsident der Gesellschaft für
toxikologische und forensische Chemie, sieht in Deutschland freilich
die Einführung so mancher neuen Technik an den Kosten scheitern.
Daldrup warnt auch vor zu großen Hoffnungen. "Wenn man nicht weiß, nach
welchem Stoff man überhaupt sucht, kann man mit einer Messung im
Femtobereich auch nichts anfangen", sagt er. "Je feiner die
Analysemethode, desto genauer muß vorher ermittelt werden." Davon
können Daldrups japanische Kollegen ein trauriges Lied singen. Den
Verdächtigen, den man nach der Analyse der Pulverspuren verhaftet
hatte, setzte der Untersuchungsrichter nach zwei Wochen wieder auf
freien Fuß. Zwar steht dank der Synchrotron-Analyse nun außer Frage,
daß der Mantel während des Anschlags am Tatort gewesen war. Aber wer
ihn getragen hatte, war mit dieser Methode nicht zu klären.